Podcast #001 | Thür.
Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 15.07.2020 – VerfGH 2/20 – & Verfassungsgericht Brandenburg, Urteil vom 23.10.2020 – VfGBbg 9/19
Ri’inBVerfG a.D. Dr. Christine Hohmann-Dennhardt zur paritätischen
Besetzung von Wahllisten

Zusammenfassung

Frauen sind im Bundestag und den Länderparlamenten unterrepräsentiert. Eine paritätische Besetzung der Wahllisten politischer Parteien abwechselnd mit Männern und Frauen könnte dies ändern. Doch entsprechende Gesetze in Thüringen und Brandenburg wurden von den Verfassungsgerichten der beiden Länder für verfassungswidrig befunden und gekippt. Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt erörtert den gegenwärtigen Stand der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Deutschland und legt dar, warum in ihren Augen die paritätische Besetzung von Wahllisten entgegen der beiden Gerichtsentscheidungen keineswegs gegen die Verfassung verstoße.

Interview (Transkript)

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Mein Gast ist Frau Doktor Christine Hohmann-Dennhardt. Sie war in ganz verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in Entscheidungspositionen tätig. Sie war langjährige Richterin, hatte politische Positionen auf kommunaler und auf Landesebene inne. Sie war ehemalige Ministerin in Hessen und zwölf Jahre lang Richterin am Bundesverfassungsgericht. Nach Ihrer tätig dort, war Frau Hohmann-Dennhardt Vorstandsmitglied großer Automobilkonzerne. Herzlich Willkommen, Frau Hohmann-Dennhardt.

DR. CHRISTINE HOHMANN-DENNHARDT: Danke schön, Herr Neubert.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Wir sprechen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer paritätischen Besetzung von Wahllisten durch sogenannte Paritätsgesetze. Paritätsgesetze sehen vor, dass die politischen Parteien ihre Wahllisten im Reißverschlussprinzip, immer abwechselnd, mit Männern und Frauen besetzen. Ziel ist es, den Frauenanteil unter den Abgeordneten zu erhöhen. Der thüringische Verfassungsgerichtshof, so wie das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, haben mit Urteilen vom 15. Juli 2020, beziehungsweise vom 23. Oktober 2020, die Paritätsgesetze in den beiden Ländern für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Liebe Frau Hohmann-Dennhardt, wer diese beiden Entscheidungen liest, der könnte sich fragen: Wie steht es in der gesellschaftlichen Wirklichkeit eigentlich um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern?

DR. CHRISTINE HOHMANN-DENNHARDT: Wenn man es zusammenfassen will, ich glaube schon, dass wir im letzten Jahrhundert, insbesondere durch die Einführung des Frauenwahlrechts, die Weimarer Reichsverfassung, das Grundgesetz mit seinem Artikel drei Absatz zwei, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, als Grundlage für gesellschaftliche Veränderungen im Rechtlichen wie im Faktischen, ein gutes Stück vorangekommen sind. Wenn ich mich erinnere, als ich anfing Jura zu studieren, da gab es unter den 180 Erstsemstern fünf Frauen. Heute sieht das völlig anders aus und das ist gut so. Das heißt, die Frauen haben schon aufgeholt, im Beruflichen wie auch in ihrer Beteiligung am gesellschaftlichen Geschehen. Andererseits hat es dieses Jahrhundert gedauert. Und ein Feld ist dabei natürlich auch, die Frage, wie viel Frauen denn in unseren Parlamenten sind und dort auch die politischen Geschicke der Bundesrepublik mitgestalten können? Das ist einfach zu wenig. Wenn man davon ausgeht, dass im Bundestag knapp 31 Prozent Frauen auf den Abgeordnetenbänken vorhanden sind und es in den Landesparlamenten zum Teil sogar noch weniger sind. Und dieses auch nicht mit steigender Tendenz, sondern in letzter Zeit eher mit rückläufiger Tendenz.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Am Bundesverfassungsverfassungsgericht haben wir bereits Parität erreicht, beziehungsweise es gibt mittlerweile neun Verfassungsrichterinnen und sieben Verfassungsrichter. Warum haben wir noch nicht annähernde Parität in den Ländern und im Bundestag?

DR. CHRISTINE HOHMANN-DENNHARDT: Nun, im Verfassungsgericht gab es einen richtigen Schub. Als ich dort begann, stieg ich ein in einen Senat mit zwei Kolleginnen. Die dann während der zwölf Jahre verschwanden und durch Männer ersetzt wurden. So dass ich als einzige Frau im gesamten ersten Senat war. Im zweiten Senat sah es ein bisschen besser aus mit zwei, drei Frauen. Und nun, in der letzten Zeit hat man sehr viele Frauen rangelassen. An diesem Beispiel sieht man, dass wenn man nach Frauen sucht, nach geeigneten und fähigen Frauen sucht, dann findet man sie auch. Denn es steht dem Gericht sehr gut zu Gesicht diese Frauen zu haben. Dass es im Parlament noch nichts o aussieht liegt natürlich auch an den Auswahlverfahren, die durch die Parteien durchgeführt werden. Da haben ja nun die Gesetze auch angesetzt, die hier Veränderungen wollen.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Jetzt haben wir uns den Gegenstand der beiden Entscheidungen genähert. Ich würde gerne von Ihnen erfahren, sind diese Entscheidungen aus Thüringen und Brandenburg aus Ihrer Sicht richtig?

DR. CHRISTINE HOHMANN-DENNHARDT: Nein. Ich halte sie insofern nicht für richtig, weil sie dem Artikel drei, Absatz zwei, der bestimmt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, nicht genügend Gewicht bei räumen. Ich würde sogar sagen, dass der Artikel drei, Absatz zwei, zu der Wahlrechtsfreiheit und Gleichheit, die unser Grundgesetz garantiert und zur Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit der Parteien, nicht ins Verhältnis gesetzt werden kann. Insofern fasst gar nicht zur Anwendung kommt. Und Brandenburg hat einfach gesagt: Also Artikel drei, Absatz zwei, die Gleichberechtigung kann nicht grundsätzliche demokratische Grundprinzipien verändern. Das könne nur ein Verfassungsgesetzgeber.

In dieser Folge

[00:58] – Podcast Host Dr. Carl-Wendelin Neubert stellt Frau Dr. Christine Hohmann-Dennhardt vor. Sie ist u.a. ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgerichts.

[01:34] – Was ist die Wirkung von Paritätsgesetzen? Ziel ist es, den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen.

Erwähnte Gerichtsentscheidungen

Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 15.07.2020 – VerfGH 2/20 | Besprechung in der Jurafuchs App: https://jurafuchs.app.link/PalQJzE6ggb (Link bitte vom Smartphone / Tablet öffnen) | Entscheidung im Original hier.

Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 23.10.2020 – VfGBbg 9/19 | Besprechung in der Jurafuchs App: https://jurafuchs.app.link/0AGbiMA6ggb (Link bitte vom Smartphone / Tablet öffnen) | Entscheidung im Original hier.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.10.2020 – 2 BvC 46/19 | Entscheidung im Original hier.