Uni-Prüfungen im Check: Wie das Jurastudium Geschlechterklischees fördert

Der Chefarzt arbeitet in einer 60-Stunden-Schicht, hat eine Affäre mit der Arzthelferin und wird daraufhin von seiner Ehefrau, die sich als Hausfrau um den Haushalt kümmert, auf nachehelichen Unterhalt verklagt: Das könnte nicht nur der Inhalt einer Vorabendserie sein, sondern auch der eines rechtswissenschaftlichen Fallbeispiels. Obwohl sich Berufs- und Rollenbilder immer mehr diversifizieren, bedienen die Rollen in juristischen Prüfungsinhalten weiterhin eine Vielzahl an Stereotypen. Das zeigt eine aktuelle Analyse der Lernplattform Jurafuchs, bei der knapp 500 Fallbeispiele aus juristischen Prüfungen ermittelt und im Hinblick auf die darin vorkommenden Personen und deren Geschlecht, Beruf und weitere Merkmale verglichen wurden.

Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Bildungsgrad

Deutschlands Anwaltschaft wird weiblicher: Eine aktuelle Jurafuchs-Analyse zeigt zwar, dass aktuell lediglich 38,7 Prozent der Anwälte Frauen sind, jedoch waren die weiblichen Jurastudierenden im Wintersemester 23/24 in der Überzahl (59 Prozent). Die Juristen in den Prüfungsinhalten sind aber weiterhin männlich geprägt: 60 Rechtsanwälte, vier Staatsanwälte, drei Notare und neun (Voll-)juristen, auf deren genaue Berufsbezeichnung nicht näher eingegangen wird, treten in den untersuchten Sachverhalten auf. Demgegenüber stehen lediglich 15 Rechtsanwältinnen und eine Staatsanwältin, die Teil der juristischen Prüfungsinhalte sind. Ausschließlich Frauen sind hingegen die fiktiven Personen aus den Prüfungsinhalten, die das Jurastudium noch nicht erfolgreich abgeschlossen haben: Alle sechs auftretenden Rechtsreferendare in den Texten sind weiblich.

Männer häufig als Arzt tätig, Frauen hingegen als Arzthelferin

Der Techniker, Maurer oder Elektriker ist männlich, die Erzieherin, Krankenschwester oder Friseurin weiblich – das zumindest ist das klischeebehaftete Rollenbild, welches bis heute die Gesellschaft prägt. Auch in den Fallbeispielen juristischer Prüfungen lassen sich diese Rollenbilder schnell finden: 16 Männer und nur vier Frauen arbeiten als Arzt, wovon drei Männer als Chirurg tätig sind. Unter dem medizinischen Hilfspersonal sind hingegen drei Arzthelfer weiblich und kein einziger männlich. Eine Ausnahme bildet der Job als Pfleger: Zwei Personen, die diesen Beruf ausüben, sind weiblich und vier männlich.

Erfolglos sucht man in den Sachverhalten nach Dachdeckerinnen, Mechanikerinnen oder Landwirtinnen: Je drei Männer und keine einzige Frau üben in den Lerninhalten diese männlich geprägten Berufe aus. Auch der Beruf des Autohändlers ist in der Analyse männlich dominiert: Acht Männer arbeiten in diesem Bereich, eine Frau hebt sich jedoch davon ab, die in einem Fall als Verkäuferin von britischen Oldtimern tätig ist. In der politischen Verwaltung zeigt sich ebenfalls ein klares Ungleichgewicht: Neben zehn Bürgermeistern reiht sich nur eine Bürgermeisterin ein. Ausgeglichener ist es unter den Sekretären mit je einer weiblichen und einer männlichen Person.

Sexualisierte Frauenrollen prägen Lehrinhalt

Besonders auffällig ist die Sexualisierung von Frauenrollen. So tauchen in den Fällen eine Stripperin und zweimal die Rolle der Geliebten auf – Pendants für Männer lassen sich in den Inhalten nicht finden. Darüber hinaus zeigt sich ein weiteres Muster: Insgesamt tauchen häufiger Witwen (drei) als Witwer (zwei) auf, wobei diese oft als sehr wohlhabend beschrieben werden, vom Nachlass des Partners leben und einen aufwendigen Lebensstil haben. Daneben stehen acht männliche Erben vier Erbinnen gegenüber.

Dominanz männlicher Täter in Fallbeispielen

Im Hinblick auf die Geschlechterverteilung stimmen die strafrechtlichen Sachverhalte mit anteilig 79,9 Prozent männlichen Tätern in etwa mit den tatsächlichen Zahlen überein. Zum Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt waren 2023 81,6 Prozent der Straftäter in Deutschland männlich. Der Anteil an männlichen Opfern ist mit 72,3 Prozent vergleichsweise hoch, was auch daran liegen kann, dass der Einfachheit halber häufiger das generische Maskulinum gewählt wird. In der Realität hängt die Geschlechterverteilung unter Opfern von der Straftat ab: Während ein Großteil der Opfer häuslicher Gewalt Frauen sind, liegt die Anzahl männlicher Opfer bei Tötungsdelikten etwas höher.

Auch Hobbys der Personen klischeebehaftet

Nicht nur die gewählten Berufe, auch die Charakteristika der Rollen zeigen, dass diverse Klischees in den juristischen Prüfungsinhalten bedient werden. Die Begeisterung für Fußball, Autos oder Motorräder wird fast ausschließlich Männern zugeschrieben. Demnach tauchen insgesamt neun Fußballfans, ein Autonarr, ein Sportwagenenthusiast und zwei Motorradfahrer in Sachverhalten auf. Der weibliche Nachwuchs fällt aus diesem Muster heraus: In einem Fall wünscht sich ein Mädchen einen Porsche zum 18. Geburtstag. Frauen begeistern sich hingegen häufiger für Tiere und werden in den Texten unter anderem als Hundehalterinnen und Springreiterinnen beschrieben.

Jurafuchs-Gründer: Juristische Lehrinhalte müssen grundüberholt werden

„Die Ergebnisse sind ernüchternd und zeigen, dass juristische Lehrinhalte grundüberholt werden müssen. Wenn Prüfungsinhalte suggerieren, dass Frauen nur die Vorzimmerdamen und Männer die Chefärzte sind, transportiert das veraltete Denkmuster und verzerrt die Lebenswirklichkeit. Das ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass heute die Mehrheit der Jurastudierenden weiblich sind. Diese Frauen treffen auf Lehrmaterialien, in denen sie entweder klischeehaft, sexualisiert oder gar nicht vorkommen. Das prägt unterbewusst das Bild davon, wer in dieser Branche erfolgreich sein kann und wer nicht“, kommentiert Jurafuchs-Mitgründer Dr. Carl-Wendelin Neubert die Ergebnisse der Untersuchung. Er ergänzt: 

„Für die Lerninhalte bei Jurafuchs haben wir dieses Ungleichgewicht bewusst auf den Kopf gestellt. Wir nutzen gezielt ‚Gender Trouble‘, um bestehende Klischees aufzubrechen: In unseren Lerninhalten ist zum Beispiel der Sekretär eben auch mal männlich oder die Bundespräsidentin weiblich, und es gibt Mechanikerinnen, Bauarbeiterinnen und Geschäftsführerinnen genauso wie männliche Vertreter dieser Berufe. Wir schaffen keine neue Lebensrealität, sondern geben durch die Gestaltung unserer Lernumgebung Impulse, tradierte Rollenbilder zu hinterfragen und gerechter zu gestalten. Eine ungleiche Behandlung ist nämlich immer noch die Realität vieler Juristinnen – dies spiegelt sich in erschreckender Weise auch in den Benotungen wider. Wir können natürlich keine klare Korrelation zwischen der Rollenverteilung in Lerninhalten und späteren juristischen Berufen herstellen, da die Gründe für die abweichenden Berufsbilder von Männern und Frauen komplex sind. Klar ist aber, dass weibliche Juristen es deutlich seltener in die Führungsetagen von Unternehmen oder Kanzleien schaffen. Die Anpassung von Prüfungsinhalten kann ein Anfang sein, dieses Ungleichgewicht zu ändern.”

Über die Untersuchung

Für den Vergleich wurden insgesamt 495 Sachverhalte aus juristischen Prüfungen bzw. Übungsprüfungen – Klausuren und Aktenvorträgen – ausgewertet. Die Inhalte wurden dem JuS-Klausurfinder von der Ausbildungszeitschrift Juristische Schulung (JuS), der zahlreiche aufbereitete Klausuren und juristische Prüfungen enthält. Diese wurden im Hinblick auf alle vorkommenden Personen und deren Rolle, Beruf und Geschlecht analysiert. Da die maskuline Form im allgemeinen Sprachgebrauch häufiger gewählt wird, kann diese einen Einfluss auf die Geschlechtsverteilung haben. Oft gibt es keine weitergehenden Informationen zu den Rollen oder es handelt sich nicht um natürliche Personen, weshalb diese nicht weiter berücksichtigt werden können.

Über Jurafuchs

Jurafuchs (www.jurafuchs.de) ist Deutschlands führende Lernplattform für angehende Juristen. Die App vermittelt prüfungsrelevantes Wissen und juristische Fähigkeiten für das gesamte Jurastudium, das Rechtsreferendariat und darüber hinaus. Auf Grundlage aktueller lernwissenschaftlicher Erkenntnisse ermöglicht Jurafuchs effektives und anwendungsorientiertes Lernen durch Interaktion, Gamification, Microlearning, KI-gestützte Funktionen und eine aktive Community von fast 20.000 Jurastudenten und Referendaren. Mit über 10 Millionen gelösten interaktiven Aufgaben pro Monat ist Jurafuchs die meistgenutzte Plattform ihrer Art. Strategische Partnerschaften mit 25 Top-Kanzleien und führenden Universitäten, diverse Auszeichnungen als “beliebtestes digitales Lernmittel” und die Verleihung der prestigeträchtigen Comenius Edu Media Medaille 2025 unterstreichen die Marktführerschaft. Das Unternehmen wurde 2018 von Christian Leupold-Wendling, LLM. (Cambridge), Rechtsanwalt Dr. Carl-Wendelin Neubert und Steffen Schebesta gegründet.

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